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Die Nazizeit und der Fußball

03.03.10 (Aktuelles, Gerhard Ahrens, Startseite)

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Gerhard Ahrens schreibt für FussballFanSeiten.de – Folge 7

Und so erlebte Ernst Liebrich als Schüler wie die Fußball Vergleichskämpfe der verschiedenen Stadtteile Kaiserslauterns untereinander sich durch die politischen Ereignisse des Jahres 1933 schlagartig veränderten, d.h. rein sportlich gesehen, sollten sie sogar eine Bereicherung erfahren. Das bedeutete, man musste um weiter zu kommen in die Vorstufe der HJ dem Jungvolk eintreten. Dort wurde das Fußballspielen gefördert. Ob ich bei einem Sportclub oder dem Jungvolk hinter dem Ball her rennen sollte, bestimmte der Vater. Zu dieser Bestimmung hatte unser Hausherr, der Mitglied der NSDAP war, wesentlichen Anteil. Er denunzierte unseren Vater und nach einer Hausdurchsuchung wurden KPD Plakate gefunden. Unser Vater verließ uns für 22 Monate, die er zum Teil in München und Nürnberg als Hochverräter an Hitler verbüßen musste.



Danach waren wir geächtet. Söhne eines ehemaligen Kommunisten zu sein, war in der Aufstiegskurve des tausend jährigen Reiches, wie Brenneseln im englischen Rasen. Nun hieß es auch in der Schule nicht mehr „Guten Morgen ihr Buben“ – „Guten Morgen Herr Lehrer“ sondern aus allen Kehlen schalte es durch den Saal „Heil Hitler“ mit erhobenen Arm und es pflanzte sich in unser Gehirn ein wie Rauschgift. Meinen Sportclub musste ich verlassen, der Jugendleiter trug ein Parteiabzeichen im Knopfloch. Im Jungvolk wurden wir vorerst nicht aufgenommen, nur die Freunde an unserer Ecke auf dem Kotten blieben uns treu und wir spielten weiterhin wild in den Gassen „Kanälche“ genauso wie es auch Fritz Walter in seinen Filmen über sich schildert.

Mutter nähte uns 1935 weiße Hemden, sie hatte kein Geld um uns aus zu staffieren, wie es sich für Pimpfe gehört hätte. Kurze schwarze Manchester Hosen und Schulterriemen und Koppel und es langte zum Antreten auf dem Karl-Theodor-Platz. Sie wollte nicht, dass wir außerhalb unserer anderen Kameraden standen. Wie es in ihrem Inneren aber aussah, habe ich nie erfahren, ihre Buben marschierten und sangen die Lieder der Partei, und unser Vater musste dafür büßen.

Jugend 1938



Ernst und Walter Liebrich
Aber eines weiß ich genau, sie schuftete von früh bis spät, damit wir sauber und adrett zur Schule kamen. Es sollte keiner über uns lachen, die Söhne eines politischen Häftlings. Für Politik hatte sie sich nie interessiert, ihre Verlassenheit zeigte sie ihren Kindern nicht.

Ende September 1935 kam Vater wieder in unsere kleine Dachwohnung zurück. Als gelernter Handwerker fand er auch bald Arbeit. Keine Arbeitslosen mehr, es ging dem ganzen Land besser als in den Jahren der Inflation. Autobahnen wurden gebaut, Siedlungen und Fabriken entstanden und die Zukunft erschien uns allen wie der Sonne erster Frühlingsstrahl. Unser Vater sah es mit einem lachenden und weinenden Auge, wenn wir in Dreierreihe singend durch die Straßen marschierten. „Es zittern die morschen Knochen“ und dann in der Fortsetzung „denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ (Ich mag falsch liegen, aber ich persönlich war immer der Meinung es heißt „und heute da hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“ und so habe ich es auch gesungen, so kann man mit zwei Buchstaben schon ganz entscheidene Eindrücke vermitteln, wenn man bestimmte Ziele verfolgt“) Vom Jungstamm kam man in die Stadtauswahl. Vater steckte mich in einen kleinen Verein mit wenig Beitrag. Aber jedes Wochenende mit Niederlagen nach Hause zu kommen lag mir nicht. So ging ich nach einem Jahr zu den „Schnäkern“ wie der FCK genannt wurde. So kam ich auch mit den Schülern der Barbarossa Schule in Verbindung, die zum größten Teil dem FCK und VFR angehörten. So lernte ich die Buben kennen, mit denen ich später bis zur höchsten Fußballehre, Deutscher Meister zu sein, vor stieß.

Besonders einer machte mich neugierig und weich, Ottmar Walter, wenn er von den herrlichen Fahrten, der Kameradschaft und den Vorspielen auf dem Betzenberg erzählte. Hier in der Jugendabteilung herrschte schon Ordnung und eine eiserne Disziplin, hier sah man einen geordneten Spielbetrieb und Jugendbetreuer. Es wurde von fachlicher Hand Training abgehalten und wir Spieler sollten die Augen auf halten, um im Stadtgebiet noch andere Talente zu entdecken. Dabei gelang es mir, Werner Kohlmeyer meinen langjährigen Schulkameraden vom SV Wiesenthalerhof zum FCK zu bringen. Auch er hatte noch genau wie ich Bruder Werner einen jüngeren Bruder Roman, der später durch einen tragischen Unfall auf einer Tournee mit dem FCK in Norddeutschland nicht mehr Fußballspielen konnte und nach Australien auswanderte. Aber darüber mehr, wenn ich bei den erfolgreichen 50er Jahren bin.



1951 Bild mit Ernst Liebrich


Bild mit Werner


Werner und Ernst Liebrich in Marineuniform
Beim FCK spielte ich Stopper, obwohl mir das Außenläufer Spiel mehr lag. Aber auf Grund der Vorfälle in meinen Anfangsjahren war es für mich als Arbeitersohn vom Kotten nicht so einfach. Da half es nicht, dass man von seiner Leistung überzeugt war und eigentlich anerkannt werden musste. Ich war an solchen Tagen am Verzweifeln und glaubte nicht an eine lange Zeit bei den Rot-Weißen. Aber da hatte ich doch noch meine Freunde – Ottmar, Kohli, Pat, Petry, Ludwig, Hoffmann, Karl usw. die mit halfen, diese scheinbar künstlich heraufbeschworene Krise zu überbrücken. Jedenfalls war ich glücklich als ich dazu beitragen konnte, die Stadtmeisterschaft zu erringen. Beim „alten Walter“ also bei den Eltern vom Fritz, Ottmar und Ludwig in der Bismarck Straße wurde dann gefeiert.

Es war früher eigentlich selbstverständlich, dass die Jungen den Beruf des Vaters ergriffen. Mein Vater als Bauarbeiter war strikt dagegen und beschwor mich, keine Kelle in die Hand zu nehmen. Mein Berufswunsch, es sollte ein technischer sein, hatten viele meiner Kameraden. So bewarb ich mich als Mechaniker Lehrling bei dem größten Unternehmen unserer Stadt, der Nähmaschinenfabrik Pfaff. Hört sich alles so einfach an, aber der Weg war weit und hart. Es gab jährlich zwischen 400 bis 450 Bewerber. Da meine Schulnoten ausnahmslos nur bei gut und sehr gut lagen, klappte es. Jedenfalls waren alle in der Familie froh, dass ich in der Lehrlings Werkstatt in der Mozartstraße den Beruf eines Mechanikers erlernen durfte. Worüber sich meine Mutter mehr freute als ich, war sie doch wie der Teufel hinter einer armen Seele immer hinter meinen Schulaufgaben her, auch Brüderchen Werner hatte darunter zu leiden im positiven Sinne.

Vieles von Ernst Liebrichs Erzählungen der Weg vom Pimpf in der DJ bis zum Eintritt in die HJ deckt sich oft mit meinen Erfahrungen aus der Kriegszeit. Mit Eintritt in die Pfaff Lehrwerkstatt, hatte er auch der Hitlerjugend beizutreten.



Der Abteilungsleiter verstand es eine fast Dachorganisation der HJ zu bilden, mit Kameradschaftsabenden, Ausflügen in die nähere Umgebung, Zeltlager, Jugendherbergen wurde eine Kameradschaft geformt, dass ich zu meinen alten Freunden langsam die Bindung verlor. Aber seine Schilderungen wie alle diese Unternehmungen begeistert von den Jugendlichen aufgenommen wurden, kann ich nur bestätigen. Auch wir marschierten stolz durch unsere Ortschaft mit der Fahne und vorne meistens der Spielmann Zug. Ich hatte die große Pauke zu schlagen. Singen konnte ich zwar einiger Maßen, aber ein Instrument spielen war aussichtslos und versuchte ich erst gar nicht. Die Pauke dachte ich, kein Problem. Doch bis ich gelernt hatte, den Pauken Schläger richtig in der Hand zu halten, ließ den Zugführer fast verzweifeln. Um alles auch ein wenig vom Zeitablauf einzuordnen. In die Schule war ich 1938 gekommen. Am 1. September 1939 machten wir mit dem Bus einen Klassenausflug und zwar sollte es zur 60 km entfernten Wohlenburg gehen. Wahrscheinlich weil unser Schulleiter Wohlenberg hieß und er uns seine Herkunft demonstrieren wollte. Wir fuhren mit der Klasse morgens los und als wir bei der Burg ankamen, lief uns jemand entgegen und rief ganz aufgeregt, der Bus muss sofort zurückfahren und Truppen transportieren, der Krieg ist ausgebrochen. Also gar nicht erst ausgestiegen, sondern direkt wieder zurück nach Haus.

Für mich ist eigentlich nicht ganz nachvollziehbar, wie wir doch gegen die halbe Welt Krieg geführt haben, dass Fritz Walter mit dem National Team noch 24 Länderspiele in den Kriegsjahren spielte. Der geschickte Schachzug von Sepp Herberger, alle Nationalspieler in eine Sportkompanie unterzubringen und mit Oberstleutnant Hermann Graf bei den „Roten Jägern“ als Torwart fand er hervorragende Unterstützung in seinen Bemühungen die Spieler zusammen zu halten. Diese Jahre und das Geschehen nach Kriegsende werde ich im nächsten Absatz zu Papier bringen. Wie Ottmar Walter bei der Kriegsmarine in Kiel spielte. Ernst und Werner Liebrich waren bei der Marine und auch von Werner Baßler besitze ich ein Bild in Marine Uniform. Soldatenbilder von Fritz Walter gibt es weniger, einmal als Gefreiter in einem Bildausschnitt. Auch diese Zeit wird vieles Interessantes bringen, mit der Flugstaffel die „Roten Jäger“ den Absatzbewegungen in Richtung Heimat nach dem Krieg. Die Tabak- und Kartoffelspiele bis zum ersten Deutschen Endspiel 1948 gegen den 1. FC Nürnberg in Köln. Auch hier habe ich Filmunterlagen in meinen Sammlungen. unwiederbringliche Zeitdokumente.

Im Innenhof der Lehrlings Werkstätte hatten wir einen kleinen Spielplatz, durften aber nur Handballspielen wegen der vielen Fensterscheiben, so fährt Ernst fort. Wenn keine Aufsicht da war, verwechselten wir schon einmal Hand und Fuß. Wenn dann eine Fensterscheibe zu Bruch ging, wurde das Spielen in der Mittagspause erst einmal ganz eingestellt.

So sah ich eines Mittags aus der oberen Stufe einem stämmigen Spieler mit welligem Haar zu, der aus allen Lagen mit Turnschuhen aufs Tor knallte und sich köstlich amüsierte, wenn seine links und rechts abgezogenen Schüsse einschlugen. Keiner von uns ahnte damals, dass dieser Junge einmal der Schrecken aller Torhüter werden sollte. Der einmal für ewig den absoluten Torrekord mit 1388 Toren halten würde. Auch ich glaubte an diesem Tag noch nicht, mit dieser Schusskanone 13 Jahre lang in einem Team zu spielen. Mir dann aber später ein wahrer Freund wurde, der mir oft über Zweifel und Unsicherheit hinweg half.

Ich wusste das Werner Baßler bei uns in der 1. Jugendmannschaft spielte. Für diese Elf hatten wir bislang wenig Interesse gezeigt. Von den Erfolgen wurde nur in Superlativen geschwärmt. Insbesondere von Ottmar Walters älteren Bruder Fritz erzählte man sich Wunderdinge. Ich nahm mir vor mit meinen Freunden die Spiele dieser Jugendmannschaft zu besuchen, wenn es zeitlich einzurichten war. Es war dann bei einem Heimspiel unserer 1. Mannschaft soweit, dass wir uns das Vorspiel unserer 1. Jugendmannschaft ansehen konnten. Man brauchte Fritz nicht lange zu suchen. Wenn ein Stürmer in Ballbesitz kam und wie ein Wirbelwind um 2-3 Spieler herum war und mit einem klugen Pass seine Nebenleute so bediente, dass einfach Tore fallen mussten, dann war er es dieser etwas schwächlich gebaute Junge mit den rot schimmernden lang mähnigem Haar, das von einem Stirnband gehalten wurde. Wenn er spurtete mit einfacher Körpertäuschung seinen Gegner stehen ließ, ging ein Raunen durch die Zuschauer.

Liebrich beim Kampf um den Ball




Walterslautern


Völlig verständlich, dass auch Ernst Liebrich gern mit Fritz Walter gespielt hätte, aber zu der Zeit in der Jugend waren drei Jahre jünger eine lange Zeit. Dann machte auch der Krieg ihm einen Strich durch die Rechnung. Aber nach dem Krieg arbeitete er hart an sich und holte sich durch eigenen Lerneifer die nötige Erfahrung für größere Aufgaben und für diesen Fleiß als Belohnung zweimal den Deutschen Fußballmeister Titel gemeinsam mit einer berühmten Elf, die in Deutschland einen unglaublichen Ruf hatte – die Walter-Elf.

PS: Im Walter Lied heißt es im Refrain so schön „Fahrer am Ball“ . Als ich 1953 nach Kaiserslautern kam sangt man das Lied Tag und Nacht mit einer Begeisterung, dass einem die Tränen kommen mussten. Aber „Fahrer am Ball, schieb ihn gut vor, Achtung jetzt gibts ein Knall, denn die Bas die hats schon spitz, schiebt zum Ottmar, der zum Fritz und kein Gegner weiß wohin.“ Es gibt doch überhaupt niemand in der Mannschaft der Fahrer heißt. Bis man mir klar machte: Es gibt den großen und den kleinen Fahrer und zwar Ernst und Werner Liebrich, so genannt auf Grund ihrer Körperhaltung bei der Ballführung, dynamisch und vor geneigt als ob sie am Steuer eines Autos sitzen.

So schreibt Ernst: Ich stand noch in der Lehre, die immer mehr den Charakter einer vor militärischen Ausbildung an nahm. Fußball – die schönste Nebensache der Welt – durfte nur am Rande erwähnt werden, galt es doch all seine Kräfte für den Endsieg zu mobilisieren. Unser Lehrmeister wurde immer pathetischer, und man hatte den Eindruck, er habe jede Woche einmal Audienz im Führerhauptquartier und kehre von dort mit aufgeladenem Repertoire an neuen Sprüchen von Heldenmut und Kampfmoral für die zweite Front, die Front der Arbeiter, zurück in seinen Arbeitsbereich. Wir mussten wie die Soldaten die Hacken zusammen schlagen und bitten „austreten zu dürfen“. Aber die Lehre wurde noch beendet mit dem Vermerk: „Was du tust, tue ganz!“ Da war unser Ausbilder eisern. Auch wenn der Führer dringend junge Soldaten benötigte.

Gerhard Ahrens

PS:
http://www.initiative-fritz-walter-museum.de/videos/
Dieser Link zeigt Fritz Walter im Gespräch mit Rudi Michel – unverfälscht und ehrlich wie er im Leben stand.